Antwort auf den „Offenen Brief“ von Olivia Jones

Über unsere Kommentarseite erreichte uns  ein “Offener Brief” von Olivia Jones, in dem sie sich für die Seilbahn ausspricht. Eingereicht wurde der Kommentar von Wolfgang Raike, stellvertretender Vorsitzender des Tourismusverbandes Hamburg, und Mitinhaber der von der Pro-Seilbahn-Initiative engagierten Werbeagentur.

Wir wissen nicht, ob der Text tatsächlich von Olivia Jones autorisiert wurde, es ist jedoch davon auszugehen, dass er noch weiter Verbreitung finden wird. Hier eine erste Antwort darauf:

Liebe Olivia Jones,

Sie haben einen Offenen Brief verbreiten lassen, in dem Sie ihre Zustimmung zu dem Projekt einer Seilbahn vom Millerntor nach Steinwerder begründen.
Leider gehen Sie darin weder wirklich auf die zahlreichen Argumente ein, die gegen die Musical-Seilbahn sprechen, noch führen Sie neue dafür an.

Sie schreiben: “Es ist auch völlig klar, dass sich Frust, Angst und Wut irgendwann ein Ventil suchen. Da kommt so eine Hochglanz-Seilbahn mit mächtigen Pylonen wie aus einem Science-Fiction-Film als Blitzableiter natürlich gerade recht. Hier können wir jetzt mal zeigen, wie sauer wir wirklich sind – auf… ja, auf wen eigentlich genau?

Diese Taktik, politische Aktivitäten von “normalen” Bürger*innen als irrational und  emotionsgesteuert herabzusetzen, ist wohl allen, die sich stadtpolitisch engagieren, schon mal begegnet. Sie geht eigentlich immer, und hier ganz entschieden, an der Sache vorbei.

Die Seilbahn ist kein “Blitzableiter”. Die Auseinandersetzung um das Projekt ist kein Ventil für irgendwelche Ängste,  sondern Teil einer Debatte, in der es grundsätzlich um die Richtung der Entwicklung der Stadt geht. Vor allem geht es auch darum, wer über diese Entwicklung entscheidet. Der Versuch, die nicht in Lobbyverbänden organisierten Teilnehmer*innen dieser Debatte als bloß gefrustet, verängstig, ja gewissermaßen als nicht politikfähig hinzustellen ist unwürdig und beleidigend.

Die Gründe, die gegen die Seilbahn sprechen, sind vielfältig, gut begründet und betreffen nicht nur St. Pauli. Die Werbeversprechen der Konzerne und der von ihnen lancierten Initiative sind längst widerlegt und werden auch von den Befürworter*innen selbst nicht mehr ernsthaft vertreten.

Die Geschichte vom Geschenk, das “den Steuerzahler” nichts kostet, glaubt kaum noch jemand, und auch Sie dürften wissen, dass Unternehmen nichts verschenken.
Es geht um die Gewinne der Stage, um ein Ausstellungsstück für Doppelmayr und den Versuch von Wirtschaftsverbänden, ein Instrument der direkten Demokratie für die Durchsetzung ihrer Interessen zu missbrauchen.

Sie schreiben: ”Ich kann also beide Seiten gut verstehen: Die der Anwohner, die sich nicht noch mehr Trubel dieser Art wünschen. Und die der Unternehmer, die hier durch den Tourismus für viele Anwohner (und natürlich auch nicht nur selbstlos) Arbeitsplätze schaffen und sichern.

Das ist – mit Verlaub – Unfug. Möglicherweise verstellt das Dauerspektakel den Blick über den Tellerrand: Es gibt diese “beiden Seiten” nicht.

Es gibt nicht  den Tourismus, es gibt verschiedene Arten des Tourismus. Es gibt Unternehmer (dem Vernehmen nach sogar auch Unternehmerinnen), die der ausschließlichen Ausrichtung auf Eventtourismus skeptisch gegenüberstehen. Es gibt Clubbetreiber*innen, Ladenbesitzer*innen, Fremdenführer*innen, die ihre Zukunft nicht in einer glattgebügelten “St. Pauli +” Vermarktung sehen. Es gibt Gewerbetreibende, Berufstätige, Dienstleister*innen und so weiter, die ihr Geld nicht mit Touristen verdienen, sondern zum Beispiel im Hafen, im Handwerk, in Medienberufen, im Einzelhandel, in der Industrie. Die dürften auch in St. Pauli gut zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen. 

Es gibt vor allem auch viele Besucher*innen unserer Stadt, die eben eine Stadt kennenlernen wollen, einen spannenden Stadtteil mit Ambivalenzen und Geschichte – und kein glattgebügeltes Las Vegas, das an der Elbe oder genauso gut sonst wo liegen könnte.

Niemand, wirklich niemand bestreitet, dass es Veränderungen in der Stadt, in den Stadtteilen gegeben hat und weiter geben wird. Niemand bestreitet auch, dass Veränderungen notwendiger Bestandteil einer lebendigen Entwicklung sind.
Aber Veränderungen sind kein Naturphänomen. Sie sind Folge und Gegenstand politischer Entscheidungen. Sie sind auch nicht wertneutral und alternativlos. Es gibt Veränderungen, die in die falsche Richtung gehen. Es gibt Veränderungen, die wenigen nutzen und viele verdrängen. Es gibt Veränderungen, die nicht in die Zukunft weisen sondern ein dumpfes “weiter so” darstellen, ein bloßes Mehr vom Immergleichen, auch wenn das als schickes neues Gadget daher kommt. Es gibt Veränderungen, die es gilt abzuwenden.
Veränderungen, die eine Verbesserung der Lebensqualität für alle zur Folge haben, solche die mehr Teilhabe und weniger Ausschlüsse ermöglichen, die die Unterwerfung noch des letzten grünen Flecks unter die Logik der Totalverwertung beenden – solche Veränderungen sind hochwillkommen. Aber die hat die Seilbahn nicht im Gepäck.

Wir streiten hier nicht um Frust abzulassen, sondern für eine Stadt, die nicht zum bloßen Standort verkommt.

Wir sprechen nicht von “einigen Quadratmetern Park “ sondern verteidigen den öffentlichen Raum gegen den Versuch, ihn für die Partikularinteressen von Unternehmen zu privatisieren. 

Wir kämpfen für eine demokratische Praxis, die nicht zum Spielball von Verbänden, Konzernen und Werbeagenturen degradiert wird.

Wir treffen mit der Seilbahn genau das richtige Projekt.

Mit nachbarschaftlichen Grüßen 

Klas Rühling