Gastbeitrag: Kritik an Seilbahnlobbyismus eines kritischen Verkehrswissenschaftler

Die Musical-Bahn, obwohl sie nur nach Steinwerder hüpft, wird von ihren Propagandist*innen unverdrossen als Verkehrsmittel beworben, dass über die Elbe springt.

Das ruft natürlich Menschen auf den Plan, die sich mit dem Thema beschäftigen. Der Biologe Jörg v. Prondzinski,  seit Jahren in der Stadt- und Verkehrspolitik besonders in Wilhelmsburg engagiert, hat nun einen Brief geschrieben.

Gerichtet ist er an den Verkehrsexperten Prof. Heiner Monheim. Der Mitbegründer des ADFC und Emeritus der Universität Trier hat sich in der Vergangenheit durch sein Engagement gerade bei Kritikern autofixierter Verkehrspolitik einen guten Ruf erworben. Ausweislich seiner Webseite berät er nun “Europas größten Seilbahnhersteller Doppelmayr in seiner Expansionsstrategie.” Von den Befürworter*innen wurde er in Hamburg auf mehreren Veranstaltungen als Unterstützer der von ihnen geplanten Seilbahn präsentiert, so auch in der Sendung “Schalthoff live” vom 5.8.2014.

Unter anderem auf diese Sendung bezieht sich der Brief, den wir hier im Wortlaut dokumentieren.

 

Lieber Heiner Monheim,

wir hatten vor einigen Jahren Kontakt auf einem Verkehrs-BuKo und dann auch noch Kommunikation über die geplanten Autobahnen in Hamburg-Wilhelmsburg – wobei auch schon ein Bezug besteht zu dem, was ich heute sagen möchte.
Die Musical-Seilbahn.
Ich habe Hamburg1/Schalthoff gesehen.
Und war ein wenig entsetzt über die Verwendung, die Sie sich dort gegeben haben.

Grundsätzlich finde ich Seilbahn-Lobbyismus nicht schlimm – wenn es denn um einen integrierten Modus des ÖPNV ginge.

Und ich glaube auch, daß es für einen kritischen Verkehrswissenschaftler nicht leicht ist, sich so richtig lukrative Aufträge zu erschließen. Aber den guten Ruf aufs Spiel setzen für eine hochfragwürdige Investorenfantasie?

Bei der Musicalseilbahn geht es eben nicht um ein smartes und integriertes Verkehrsmittel an einem passenden Ort, sondern es wollen Leute, die schon gut subventioniert (Hafenflächen kosten so gut wie keine Miete) viel Geld verdienen, noch mehr Geld verdienen, indem sie vor dem einen noch ein anderes kostenpflichtiges Event verkaufen wollen. Dazu stellen sie letztendlich keine kleinere Frage als: ‚Wem gehört die Stadt?’

Glücklicherweise gibt es nun eine regierende Bezirks-SPD, die ausnahmsweise bei einer Initiative, die den öffentlichen Raum für private Verwertungsstrategien nutzen will, nein sagt.
Das ist offenbar nicht aus sachlich-inhaltlichen Gründen der Fall – die Bahn verliefe wohl zu dicht vor dem Fenster eines wichtigen SPD-Granden und die naßforsch-erfolgreichen Stage-Manager haben vielleicht auch irgendwo einen Groll hinterlassen… Naheliegend jedenfalls, wenn mensch ihr Vorgehen mittels Volkdsdemokratie betrachtet. Der gesamte abstimmungsberechtigte Bezirk Mitte ist vollgestellt mit Wahl-/Werbeplakaten (nur auf St.Pauli wagen sie offenbar nicht zu provozieren) – was schon allein deutlich macht, daß hier das große Geld die Dinge antreibt, dann sind falsche Versprechungen auf den Plakaten zu finden (zum Dom schweben aus Hamm) und schließlich ist da noch das in Aussicht gestellte Bestechungsgeld für den Fall des richtigen Abstimmungsergebnisses.
Deutlicher kann die Mentalität ‚Wenn mich die Stadt nicht machen läßt, kauf ich sie mir’ wohl nicht zum Ausdruck kommen.

Ich versuche mich aber nochmal in den kritischen Verkehrswissenschaftler hineinzudenken, der Freund von innovativen, wenig flächenverbrauchenden, kostengünstigen und für die Fahrgäste attraktiven Verkehrsmitteln ist. Der vielleicht danach sinnt, wie trägen Gremien und Verwaltungen mit ihrem Das-haben-wir-noch-nie-so-gemacht-Denken beizukommen ist und der vielleicht denkt: Wenn sie nicht freiwillig ihr Glück finden wollen, schaffen wir einfach mal Fakten und machen es ihnen vor. Grundsätzlich keine so unsympathische Idee, finde ich.
Bloß: Hier gibt es so überhaupt keinen Ansatz von (ich benutze einfach mal dieses Wort:) Nachhaltigkeit und Anschlußfähigkeit. Nicht mit der geplanten Anlage, nicht mit den beteiligten Akteuren und nicht mit den gewählten Verfahren.

Zwei Aspekte aus diesem Komplex von Defiziten möchte ich herausgreifen.
• Das Verfahren und ihre treibenden Akteure: Die „Wilhelmsburgerin“ Gundelach wurde aufgrund mangelnden ihm in seiner Partei zur Verfügung stehenden senatstauglichen Personals vom CDU-Bürgermeister Ole v. Beust aus Hessen eingeflogen, wonach sie gleich als Vorzeigeinvestorin Wohneigentum im aufzuwertenden Wilhelmsburg erwarb und auch alsbald den Vorsitz des “Bürgervereins“ übernahm, der einige Gewerbetreibende vertritt und den Bau von Autobahnen im Stadtteil fordert. Zur Sicherheit gesagt: In Wilhelmsburg hat es immer Zuwanderung und verschiedene Meinungen gegeben – das an sich ist überhaupt kein Problem, allerdings geschah es in der Zeit, wo Frau Gundelach Verantwortung für das Verkehrsressort trug, daß erstmalig für das Vorhaben eines innerstädtischen Autobahnbaus (Wilhelmsburger Reichsstraßen-Verlegung zur „Reichsautobahn“) eine private Werbeagentur (public:news) beauftragt wurde, die Öffentlichkeitsbeteiligung für das Planfeststellungsverfahren zu organisieren. So mußten sich dann alle, die während der Auslegungszeit die Planungen einsehen wollten, zunächst durch eine Art Werbeverkaufsschau für Autobahnen hindurchwinden, die dann fließend in die amtlichen Planunterlagen überging. (Zu späteren SPD-Zeiten gab es dann in Kontinuität dieser Denkschule von derselben Firma auf der Gartenschau einen „Info-Container“ zu den Vorteilen innerstädtischen Autobahnbaus – eine örtliche Betroffeneninitiative durfte dagegen nicht informieren). Interessant war ja auch in der Schalthoff-Sendung die sinngemäße Aussage Frau Gundelachs zu den unwahren Werbebotschaften: Daß Werbung nicht unbedingt wahrheitshaltig sein müsse. So steht denn Frau Gundelach nicht für irgendwelche Verkehrskonzepte (wie ja auch das ganze Vorhaben nicht), sondern sieht sich offenbar als Wegbereiterin für lukrative Bauvorhaben, steht genauer gesagt im Sinne der Investoren für das Unschädlichmachen der demokratischen Anteile von Planverfahren. Oder etwas plakativer: Für die Privatisierung der Demokratie.

• Die verkehrspolitische Innovation: Wenn ein neues öffentliches Verkehrsmittel eingeführt werden soll, muß die Bevölkerung es mittragen. Dazu muß die Überzeugung reifen, daß es gut und notwendig ist. Eine Pistole auf der Brust mit der Ansage: ‚Wir wollen unser Ding machen, und wenn du willst, daß deine soziale Einrichtung auch morgen noch auf hat, gib uns deine Stimme’ finde ich unerträglich, und es schafft auch keinerlei Überzeugung für die Sache. Zumal dieses konkrete Vorhaben so gar nichts mit den Alltagssorgen der Durchschnittsbevölkerung zu tun hat und auch verkehrlich keinen der bestehenden Mißstände behebt (zB keine durch Verkehrsauswirkungen unerträgliche gewordene Wohnstraße zivilisiert, nicht die mangelnden Bahnkapazitäten im Morgen-Peak beseitigt und auch nicht die Abgehängtheit der peripheren Großwohnsiedlungen ändert).

Ich fasse mal zusammen:
Einer prinzipiell nicht schlechten Idee tut es nicht gut, wenn sie am unpassenden Ort für einen unpassenden, rein kommerziellen Zweck von wenig vertrauenswürdigen Menschen mit fragwürdigen Methoden propagiert wird. Im Gegenteil: In dieser Stadt mit den vielen Großvorhaben, die sich hinterher immer ganz anders darstellen, als sie zuvor angepriesen wurden, insbesondere in finanzieller Hinsicht, wird so diese prinzipiell nicht schlechte Idee verbrannt.
Und wenn der Befürworter der prinzipiell nicht schlechten Idee sich von den Bestandteilen dieses Settings nicht deutlich absetzt, wirkt er gesauso käuflich, wie es Stadt und Bevölkerung in den Augen der Investoren sind.

Mit freundlichen Grüßen
und alles Gute

Jörg v. Prondzinski

P.S.: Ich werde mich dafür einsetzen – das ist meine Erkenntnis aus Ihrem Schalthoff-Auftritt –, daß bei den hiesigen Anti-Seilbahn-Aktivitäten (getragen von einem ganzen Recht-auf-Stadt-Netzwerk) deutlich wird, daß (u.a.) die oben beschriebenen konkreten Umstände zur Ablehnung dieses konkreten Projekts führen – und es also nicht um ein pauschales Seilbahnenbashing geht.

Und: Haben Sie bitte Verständnis dafür, daß ich die Gedanken dieses Briefs auch anderen Interessierten zur Verfügung stellen werde.